12. April 2000

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Tibetischer Bauer stirbt im Gefängnis

Sonam Rinchen, ein 29-jähriger tibetischer Bauer, der 1992 verhaftet und zu 15 Jahren verurteilt wurde, weil er eine tibetische Nationalflagge entrollt und Unabhängigkeitsparolen gerufen hatte, starb im Drapchi Gefängnis. Die genauen Umstände seines Todes sind nicht bekannt, obwohl Berichte aus Tibet andeuten, daß er besonders drastischer Behandlung ausgesetzt war, weil er von den Behörden als einer der Anführer eines friedlichen Protestes, der im Juni 1992 in einem Dorf östlich von Lhasa stattfand, angesehen wurde. Sonam Rinchens Stiefvater, Thubten Yeshe, der eine Woche nach Sonam Rinchen verhaftet wurde, wurde ebenfalls zu 15 Jahren verurteilt.

Sonam Rinchen, der aus der Ortschaft Gyama, Kreis Meldrogongkar in der TAR (Tibet Autonomous Region) gebürtig ist, starb im Januar 2000. Laut Aussage des Tibetischen Zentrums für Menschenrechte und Demokratie, einer in Dharamsala ansässigen NGO, stand er seit 1997 unter medizinischer Behandlung. Daß so wenig Information über die Umstände seines Todes bekannt wurde, zeigt mit welcher Vehemenz die Behörden in Lhasa den Fluß von Nachrichten an die Außenwelt zu verhindern versuchen.

Zu dem Protest von Sonam Rinchen und drei weiteren Bauern kam es während eines Meeting zur politischen Umschulung am 30. Juni 1992, zu dem die Einwohner der Ortschaft Gyama, 60 km östlich von Lhasa, versammelt wurden. Vorangegangen waren bereits mehrere Wochen politischer Indoktrinierung in dem Dorf als Teil einer ganz China betreffenden Kampagne zur Festigung der Loyalität der Bürger zum Sozialismus und zum Aufbau von Basisstrukturen in ländlichen Gegenden. Als die Kundgebung beinahe zu Ende war, entrollten Sonam Rinchen und drei seiner Gefährten, alle in den Zwanzigern, eine große tibetische Flagge und bewegten sich parolen-schreiend auf die Bühne zu. "Die Funktionäre traten von einer Seite der Bühne ab, während die Protestierenden sich von der anderen näherten. Auf der Bühne wandten sie sich der Menge zu mit der Schneelöwen-Flagge, in deren Mitte ein mit einer weißen Khatag drapiertes Dalai Lama Bild war und auf deren rechten Seite die Worte 'Möge Tibet Tausende von Jahren unabhängig bleiben' aufgemalt waren. Die bewaffnete Polizei riß sofort die Flagge weg und führte die Protestierenden ab. Als sie durch das Dorf gezerrt wurden, gerieten die Menschen in solche Erregung, daß etwa 100 Leute ihnen folgten und nach Unabhängigkeit riefen", heißt es aus inoffizieller Quelle. Die Dorfbewohner verbrannten Weihrauch und warfen tsampa auf die Opfer als Zeichen ihrer Sympathie.

Am 20. Oktober 1992 wurden Sonam Rinchen und Lhundrup Dorje von dem Mittleren Volksgericht von Lhasa zu je 15 Jahren Haft mit Verlust der politischen Rechte für weitere 5 Jahre verurteilt. Koncho Lodroe und Sonam Dorje wurden zu 13 Jahren Haft und Entzug des politischen Rechte für 4 Jahre verurteilt. In dem Gerichtsurteil, das TIN zuging, heißt es, daß vier Tibeter "konterrevolutionäre Verbrechen mit einer gefährlichen Wirkung auf die Gesellschaft begingen". Thubten Yeshe, Sonam Rinchens Stiefvater, der Anfang Fünfzig war, wurde wenige Tage später von dem Sicherheitspersonal festgenommen, und weitere Kader kamen zur Untersuchung der Umstände in das Dorf. In dem Gerichtsurteil steht auch, daß Thubten Yeshe vor dem Protest im Juni 1992 drei Unabhängigkeitsplakate an einem Baum aufgehängt hätte und daß er eine tibetische Flagge, die er auf Bitte von Lhundrup Dorje angefertigt hätte, zur Schau stellen wollte. Die drastischen Urteile von Thubten Yeshe, Sonam Rinchen und den anderen Protestanten zeigen die Entschlossenheit der Regierung jede politische Regung in der Laienbevölkerung auf dem Lande, wo über 80% aller Tibeter leben, grausam niederzuschlagen.

Daß noch weitere Glieder von Sonam Rinchens Familie bei Protesten mitmachten, mag einer der Gründe gewesen sein, daß er besonders schlimm mißhandelt wurde. Auch Sonam Rinchens Bruder Tandrin war wegen seiner Verwicklung in politische Aktivitäten 1988 fünf Jahre in Drapchi eingesperrt. Sonam Rinchen wäre 2007 aus Drapchi entlassen worden..

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